Marc Westphal, Bayer
Ein Digitaler Zwilling ist eine vollständig digitale Repräsentation eines identifizierbaren Gegenstands. Also eine Entität, die den Gegenstand nicht nur in seinem aktuellen Zustand darstellt, sondern auch historische Daten beinhalten kann – beispielsweise über den gesamten Lebenszyklus. Die Darstellung von Verknüpfungen zu anderen Digitalen Zwillingen ist ebenfalls möglich.
Auch wenn die erste Definition des Begriffs „Digitaler Zwilling“ schon gut zwanzig Jahre zurückliegt und seit fünf Jahren ein Top-Thema in der Wirtschaft ist, können wir erst jetzt die Potenziale erschließen. Hilfreich sind offene Plattformen und Industriestandards, wie die Asset Administration Shell, kurz AAS. Diese ermöglichen als Verwaltungsschale erst die Umsetzung von Digitalen Zwillingen.
Leider wirkt die Definition der Verwaltungsschale technisch komplex und schreckt Unternehmen davon ab die industrielle Digitalisierung voranzutreiben.
Für eine Vereinfachung bieten sich zwei Ansätze
Der theoretische Ansatz definiert den Digitalen Zwilling auf Basis von bestimmten Reifegraden über den Produktlebenszyklus. Hier werden unterschieden, wie ein Objekt konstruiert wurde („as engineered“), wie es gebaut wurde („as built“) und schließlich, wie es gewartet wird („as maintained“). In jeder der Reifegradstufen stehen mehr bzw. zusätzliche Informationen zur Verfügung, die mit dem Objekt digital verknüpft sind. Brechen wir das auf die Sicherheitsventile von der Firma LESER herunter, hätten wir mit Auslieferung an uns als Kunden einen Digitalen Zwilling in der kleinsten Stufung mit Reifegrad „as built“, der neben den Informationen zur Fertigungsstückliste (MBOM) auch Informationen zu Ersatz- und Verschleißteilen beinhaltet. Liefert uns LESER auch Informationen zur Instandhaltung, haben wir einen Reifegrad „as maintained“.
Interessanter für die Industrie, weil pragmatischer, ist die Umsetzung des Digitalen Zwillings entlang der möglichen Ausprägungsformen „Asset-Twin“, Product-Twin“ und „Line-Twin“.
Hierbei legen wir einen größeren Wert auf die Anwendung und die Verknüpfung (Kollaboration) des Digitalen Zwilling zwischen diversen Partnern. Der „Asset-Twin“ auch Stammdaten- oder Informations-Zwilling genannt, ist die erste und einfachste Zusammensetzung. Eine reine, digitale Abbildung der Entität, wie Sie produziert und ausgeliefert wurde. Diese Ausprägungsform ermöglicht mit den zusammengetragenen Informationen aus Stammdaten, Dokumenten, CAD-Unterlagen, Stücklisten, neue Anwendungsfälle. Beispiele sind das digitale Typenschild bzw. der ID-link.
Die erste Ausbaustufe, der „Product-Twin“ ermöglicht mit zusätzlichen IoT-Daten (von Sensoren und Reglern) auch Chancen für vorausschauende Wartung. Die höchste Ausbaustufe, der „Line-Twin“, ermöglicht durch die Verknüpfung aller Digitalen Zwillinge einer Prozesslinie die Simulation von Prozessen. In Bezug auf die Ausprägungsform des Digitalen Zwilling beschäftigen wir uns aktuell mit dem „Asset-Twin“. Mit der Firma LESER zusammen haben wir alle nötigen Informationen zur digitalen Darstellung der Stammdaten von Sicherheitsventilen abgestimmt. Dabei nutzen wir auch Industriestandards wie ECLASS und die VDI2770. So ist die Grundlage zur Nutzung in einer Informationsplattform gelegt mit der zukünftig ein „Digital Product Passport (DPP)“ erzeugt und genutzt werden kann.