Porträt Supply Chain Manager Dirk Roesener
Supply Chain Manager Dirk Rösener

COVID-19: „kurze und verlässliche Lieferzeiten durch Roh- und Fertigteilelager im Wert von 12 Mio €“

Interview mit dem LESER Supply Chain Manager Dirk Rösener

Sie haben die Leitung des Supply Chain Management bei LESER erst kurz vor der Corona Pandemie übernommen. War dies nicht ein denkbar schlechter Zeitpunkt diesen Job anzutreten?
Das könnte man glauben, wenn man es so hört. Die Übernahme war aber insgesamt sehr ruhig und strukturiert. Das Supply Chain Management (SCM) Team und die Fertigungsleitung haben hier in den letzten Jahren sehr gute Arbeit geleistet, um transparente und steuerbare Prozesse zu schaffen. Das informierte und umsichtig agierende SCM Team hat mir auch in diesen schwierigen Zeiten die Übernahme einfach gemacht.

Durch die SCM Corona Task Force war ich schon sehr kurzfristig und früher als geplant in die SCM Abläufe involviert.

Wie und wann kam es denn zur Bildung dieser Taskforce?
Die abteilungsübergreifende Taskforce aus SCM, Materialwirtschaft und Produktion wurde schon frühzeitig zu Beginn der Pandemie gegründet, da unsere Geschäftsleitung von Anfang an mit einem Einfluss auf unsere Lieferketten rechnete. Dadurch waren viele, auch organisatorische Rahmenbedingungen bereits geschaffen. Als dann der Lockdown in Indien ohne Vorwarnung eintrat, waren wir sofort handlungsfähig.


Der Lockdown in Indien war also ein entscheidendes Ereignis mit Einfluss auf LESERs Lieferketten?

Ja, es war der Start für die bisher kritischste Phase der Pandemie für LESERs Lieferfähigkeit. In Indien ist der bei weitem größte Teil unserer Gusszulieferer angesiedelt. Hier hatten wir de facto einen Abbruch unserer Lieferketten von 6 bis 8 Wochen zu kompensieren.

Wie hat die Taskforce in dieser Phase, die Auswirkungen minimiert?
Mit Hilfe einer klassischen Szenario-Analyse entwickelten wir ein aus unserer Sicht realistisches Bild und haben damit unsere Planungsinstrumente in SAP gefüttert. Das Durchspielen von Worst- und Best-Case Szenarien half, um eine gemeinsame Sicht auf die Situation zu erhalten. Auf Basis der Planungsergebnisse aus SAP konnten wir dann rechtzeitig in Absprache mit den Kunden gezielte Maßnahmen ergreifen.

Im Verlauf der Krise überarbeiteten wir dann regelmäßig unser Realszenario, um die jeweils aktuelle Nachrichtenlage zu berücksichtigen. Ein regelmäßiger und enger Austausch mit unseren Lieferanten war dabei wichtig, um deren individuelle Situation in unsere Planung einfließen lassen zu können.

LESER Lager für Fertigteile
LESER Fertigteilelager im Werk Hohenwestedt

Welche Maßnahmen wurden getroffen, um die Lieferfähigkeit an die Kunden von LESER aufrecht zu erhalten?
Ein wichtiger Aspekt ist hier grundsätzlich die LESER Strategie, Lagerbestände zu führen um unseren Kunden kurze und verlässliche Lieferzeiten zu bieten. Wir lagern Roh- und Fertigteile im Wert von 12 Mio. € in unserem Werk in Hohenwestedt. Auch unsere Niederlassungen und Partner halten vor Ort noch weitere Lagerbestände, um kurze Lieferzeiten in den einzelnen Märkten zu gewährleisten.

So konnten wir frühzeitig die verfügbaren Teile den bestehenden Aufträgen zuordnen sowie bei Fehlbeständen in Absprache mit unseren Kunden Alternativen finden. Beispielsweise sind wir auf andere Werkstoffe umgestiegen, haben das Bauteil aus Vollmaterial hergestellt oder haben ein alternatives Produkt ausgewählt.

Vor dem Hintergrund abreißender Lieferketten war es zunächst wichtig, Klarheit über entstehende Engpässe zu erhalten und Handlungsfelder zu definieren. Durch Intensivierung von Reichweitenanalysen auf Komponentenebene sowie Kundenauftragsanalysen konnten wir diese Transparenz schnell herstellen.

Was haben Sie im Falle eines drohenden Engpasses unternommen?
Unsere LESER Materialwirtschaft verfolgt eine konsequente 2-Lieferantenstrategie. Für alle Komponenten haben wir mindestens zwei, voneinander unabhängige Lieferanten und teilweise einen weiteren Lieferanten in der Qualifizierung. So konnten wir in vielen Fällen notwendige Bestellungen einfach bei einem zweiten, nicht betroffenen Lieferanten platzieren. Insbesondere für Gussmaterialien ist dies nicht selbstverständlich. Das Vorhalten und Qualifizieren von mehreren Gussmodellen je Materialnummer ist aufwendig.  Daher scheuen viele Ventilhersteller diesen Aufwand. Einige Ventilgehäuse wurden auch aus Vollmaterial zerspanend hergestellt.

Waren diese zweiten Lieferanten immer in einem nicht betroffenen Land?
Nein, auf einen Fall wie eine globale Pandemie waren auch wir nicht vorbereitet. Allerdings hat uns LESERs etablierter Materialwirtschaftsprozess, neue Lieferanten zu erschließen und aufzubauen, geholfen. Wir haben in Einzelfällen schnell weitere, nicht von der Pandemie betroffene Lieferanten aktiviert. Durch die enge Zusammenarbeit der Bereiche Qualität und Materialwirtschaft haben wir beispielweise einen Gusslieferanten inklusive Modellaufbau kurzfristig qualifiziert und somit einen Engpass vermieden.

Der enge Kontakt und die durch die Materialwirtschaft aufgebauten langjährigen Beziehungen zu unseren Gießern haben uns geholfen, nach der Wiedereröffnung in Indien schnell wieder Material auf den Weg in unser Lager zu bringen. Die erste Luftfracht-Lieferung aus Indien war bereits direkt nach der Wiedereröffnung der Wirtschaft unterwegs.

Wenn dann doch ein Auftrag von fehlenden Materialien betroffen war, konnte ich durch meine Vertriebserfahrung und guten Kontakte zu den ehemaligen Kollegen frühzeitig zu einer Information des Kunden und möglichen Lösungen, zum Beispiel die Lieferung von alternativen Produkten,  beitragen.

LESER Fertigung Röntgenanlage
Röntgenanlage für Guss im Wareneingang bei LESER

Gab es weitere Faktoren, die zum Aufrechterhalten der Lieferketten beigetragen haben?
Ja, auch unsere hohe Eigenfertigungstiefe kam uns hier zugute. LESER bearbeitet alle Gussteile in der eigenen Fertigung. Auch weitere Fertigungsschritte, wie das Aufbringen von Korrosionsschutzsystemen oder Röntgenprüfungen werden im Haus durchgeführt. Dies verringerte Einflüsse durch die Pandemie.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie direkt in Deutschland auf LESERs Lieferperformance?
Die Lieferperformance hat erfreulicherweise kaum eine messbare Veränderung erfahren. Größte Sorge bereitete uns eine mögliche Krankheitswelle für unsere Mitarbeiter. Hier waren wir ebenfalls sehr frühzeitig aktiv. Die Infektion eines Mitarbeiters, der aus dem Skiurlaub zurückkam, ließ uns unverzüglich in einen Pandemie-Modus umschalten.  Durch sofortige Umsetzung von Quarantäne- und Vorsichtsmaßnahmen, über den zum Zeitpunkt gültigen Empfehlungen der deutschen Behörden, konnten wir glücklicherweise weitere Fälle von Covid-19 vermeiden.

In der Produktion wurde umgehend ein weiteres Schichtenmodell und diverse zusätzlichen Hygienemaßnahmen eingeführt. Dies erfolgte innerhalb kürzester Zeit und ohne erkennbare Produktivitätseinbußen. Dieses Vorgehen stellte die physischen Kontaktmöglichkeiten für jeden Mitarbeiter zu einem nur sehr begrenzten Personenkreis sicher. In den administrativen Bereichen wurden zweiwöchige Wechsel in mobiles Arbeiten eingeführt. Im Falle einer Infektion hätten so Infektionsketten verhindert oder zumindest nachvollzogen und unterbrochen werden können.

LESER Remote Insprection_1
LESER Remote Inspection mit Smart Glasses

Gab es bei der Auslieferung der Waren noch Schwierigkeiten durch die gestörten Logistikketten oder nicht erreichbare Warenempfänger?
Hier konnte ich mich durch meine vorherige Tätigkeit im Vertrieb sofort in die Kommunikation einschalten. Wir waren regelmäßig im Austausch über den Status einzelner Aufträge, um Auslieferungen an Kunden sicherzustellen.

Dank dem LESER Service Remote Inspection konnten wir viele Projektauslieferungen ohne physische Präsenz eines Inspektors sicherstellen. Remote Inspection wurde bei LESER bereits vor der Corona Pandemie eingeführt und ermöglicht die digitale Abnahme, durchgeführt über SmartGlasses.

Gab es direktes Feedback der Kunden zu LESERs Lieferperformance?
Während die Pandemie bei unseren Kunden in Europa ihre volle Wirkung entfaltete, haben wir sehr viele Anfragen zu einer schriftlichen Stellungnahme über LESERs Lieferfähigkeit erhalten. Hier war die Herausforderung, unsere Kunden zu überzeugen, dass wir keinen Einfluss auf unsere Lieferfähigkeit sehen. Insgesamt war die gesamte Kommunikation sehr informell, da jeder mit seiner eigenen Organisation und der Auswirkung der Pandemie beschäftigt war.

Welche Bereiche möchten Sie in der Zukunft weiter verbessern?
Insgesamt sind wir mit unserer Lieferfähigkeit, der Leistung der Fertigung und unserer Lieferanten während der Krise zufrieden. Aber natürlich lernen wir immer dazu, so ein Ereignis zeigt potenzielle Schwachstellen deutlich auf.

Wir werden mit Sicherheit zusammen mit unseren Lieferanten weiter an dem Thema Flexibilität unserer Beschaffungsprozesse arbeiten. Aus dem Bereich Materialwirtschaft weiß ich, dass wir unsere Materialgruppenstrategien aufgrund der veränderten Bedingungen prüfen und auch unsere Werkzeuge zur Risikobewertung anpassen werden. Geopolitische Einflüsse werden eine höhere Bedeutung bekommen wie auch die Vermeidung zu starker Abhängigkeiten von einer Region in der Welt. Insofern dies wirtschaftlich sinnvoll bleibt.

Vielen Dank für das Gespräch

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